Über den Wolken: Warum ein Airbus heute „Witten“ heißt

Witten. Am Abend über Stockum zeigt sich ein Schauspiel, das vielen Wittenerinnen und Wittenern vertraut ist: Eine Perlenkette aus blinkenden Positionslichtern zieht gemächlich über den Himmel, während Maschinen auf ihre Landeerlaubnis in Düsseldorf warten, den Dortmunder Airport ansteuern oder sich bereits auf den Weg Richtung Süden machen. Doch wer genauer hinschaut, entdeckt zwischen Airbus und Boeing immer wieder ein Flugzeug, das in gewisser Weise „nach Hause“ kommt. Auf dem Rumpf steht – in kleiner, fast bescheidener Typografie – ein Name, der hier jeden ein wenig stolz macht: Witten.

Eine Stadt am Airbus

Seit Januar 2023 trägt ein Lufthansa-Airbus A320neo mit dem Kennzeichen D-AIJH den Namen der Ruhrstadt. Es ist bereits das dritte Flugzeug, das Witten repräsentiert. Der jüngste Namensvetter, das spritsparende Mittelstreckenmodell der A320neo-Reihe, ist in München stationiert und bringt Reisende quer durch Europa und darüber hinaus. Auf dem Flugplan stehen sonnenverwöhnte Ziele wie Alicante, Malaga oder Valencia, aber auch Metropolen wie London, Manchester oder Bukarest. Selbst Temeswar, wirtschaftlich aufstrebende Stadt im Westen Rumäniens, gehört regelmäßig zum Programm.

Airbus A320neo der auf Witten getauft wurde. (Foto: Thomas Ingendorn/Lufthansa)
Airbus A320neo der auf Witten getauft wurde. (Foto: Thomas Ingendorn/Lufthansa)

Für Witten bedeutet das: Der Stadtname hebt täglich ab — Richtung Urlaub, Businessmeetings und neue Welten. Kaum ein anderes Wittener Wahrzeichen schafft es, so oft in so viele Länder gleichzeitig zu reisen.

Rückblick: Die erste „Witten“ – eine andere Liga

Der Gedanke, Städte und Regionen im Flugzeugrumpf mitfliegen zu lassen, ist bei Lufthansa Tradition. Schon 1960 wurde erstmals ein Jet auf einen Städtenamen getauft — damals eine Boeing 707, getauft auf „Berlin“. Das Prinzip: Die Maschinen sollen als „fliegende Botschafter“ unterwegs sein, als Zeichen der Verbundenheit mit der Breite des Landes, aus dem Passagiere und Beschäftigte stammen.

Für Witten begann diese Geschichte am 15. Juli 1996. In Frankfurt taufte Lufthansa gleich zwei neue Airbusse, darunter einen A300-600 mit dem Kennzeichen D-AIAW, der fortan den Namen der Ruhrstadt trug. Für die damalige Stadtspitze war der Anlass bedeutend genug für eine Feierstunde, bei der Oberbürgermeister Klaus Lohmann die Patenschaft würdigte. Taufpatin war seine Ehefrau Helga Lohmann. Einen Tag später hob die Maschine zu ihrem Jungfernflug nach Kairo ab – und flog anschließend vor allem Ziele in der GUS und den Golfstaaten an.

Diese erste „Witten“ verließ die Lufthansa-Flotte 2005; ihr Nachfolger, ein weiterer Airbus A300-600 (Kennzeichen D-AIKF), kam 2004 zur Airline und ging 2023 zur Lufthansa-Tochter Discover – allerdings ohne weiterhin den Stadtnamen zu tragen. Erst die neue A320neo D-AIJH brachte Witten zurück in die Lüfte.

Wie Städte zu Flugpaten werden

Mehr als 300 Orte stehen heute auf der Liste der Lufthansa-Patenschaften: Großstädte, Bundesländer, Landeshauptstädte – aber eben auch ausgewählte Städte wie Witten. Kriterien für die Vergabe sind historische Bedeutung, wirtschaftliche Relevanz oder besondere Beziehungen zur Luftfahrt. Häufig passt auch die Größe der Stadt zum Format des Flugzeugtyps: Ein Großraumjet wie ein A350 trägt die Namen großer Metropolen; ein Mittelstreckenmodell wie der A320neo eignet sich für Städte mittlerer Größe.

Auch Bewerbungen sind möglich: Kommunen können sich in eine Warteliste eintragen lassen. Wenn ein älteres Patenflugzeug ausgemustert wird, geht der Name an eine neue Maschine über. Sichtbar angebracht wird er stets an derselben Stelle — rechts neben der vorderen Einstiegstür, dort, wo ihn Fluggäste unmittelbar beim Einsteigen sehen.

Ein moderner Botschafter

Der aktuelle Airbus A320neo „Witten“ ist mit seinen 180 Sitzen ein typischer Vertreter der europäischen Mittelstrecke: 37,6 Meter lang, 34,1 Meter Spannweite, ein maximales Startgewicht von 73,5 Tonnen. Zwei sparsame Pratt-&-Whitney-Triebwerke treiben ihn an, die Reichweite liegt bei rund 3.200 Kilometern. Seine Reisegeschwindigkeit: 840 km/h. Was früher die A300-600 in den Nahen Osten trug, übernimmt heute der A320neo — energieeffizienter, leiser, zuverlässiger.

Wenn man in Witten nach oben schaut

Vielleicht ist es gerade das Unscheinbare, das diese fliegende Patenschaft besonders macht. Denn während Flughäfen wie Frankfurt oder München an ihren Terminals stolz die Namen der Städte auf großen Schildern präsentieren, bleibt der Moment für Wittener meist flüchtig: eine Maschine hoch am Himmel, ein Name, den man nur mit Glück erkennt.

Und doch steckt darin eine kleine poetische Geste. Witten, eine Stadt, die selten mit Weltläufigkeit assoziiert wird, erhält durch ein Flugzeug eine Stimme jenseits des Lokalen. Wer irgendwo zwischen München und Malaga, zwischen London und Temeswar in einen Lufthansa-Jet steigt, begegnet dem Namen dieser Ruhrstadt – ob bewusst oder nicht.

Der Himmel über Stockum, so zeigt sich an manchen Abenden, ist ein bisschen internationaler, als man auf den ersten Blick denkt. Und manchmal, wenn ein A320neo mit der Registrierung D-AIJH über die Ruhr hinwegzieht, fliegt dabei eben auch ein Stück Witten über Witten.

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