Witten. Die Mehrheit der Wittener Ratsmitglieder stimmte am Montag (6.11.) für die Abschaffung der Liveübertragung ihrer Ratssitzungen im Internet. Im September 2021 ging Rats-TV das erste Mal auf Sendung. Jede der sechs Übertragungen im Jahr kostete 2.000 Euro. Schon bei der nächsten Ratssitzung im Dezember kommt keine Kamera mehr zum Einsatz, die Bürger müssen persönlich im Saalbau die Entscheidungen der Volksvertreter verfolgen. Eine öffentlich zugängliche Aufzeichnung wird es nicht geben.
Abstimmung für Rats-TV-Abschaffung
Es sind nicht wirklich viele Bürger, die eine Ratssitzung vor Ort verfolgen. Einige Besucher kommen dienstlich, um nur einzelne Tagesordnungspunkte sich anzuhören. Jahrelang wehrten sich Wittener Politiker gegen die Liveübertragung ihrer Sitzungen im Internet. Erst mit der Corona-Pandemie fand sich eine Mehrheit im Rat für das Rats-TV. Die Gemeindeordnung NRW wurde im vergangenen Jahr geändert, der Rat wurde von der Verwaltung aufgefordert seine Geschäftsordnung an das geltende Gesetz anzupassen. Statt der Anpassung beantragten der FDP-Fraktionsvorsitzender Jan Pohl und sein Stellvertreter Steffen Fröhlich die komplette Abschaffung des Rats-TV. Ihr Antrag überzeugte die Mehrheit des Wittener Rates.
Argumente der FDP: Zuwenig Zuschauer – zu hohe Kosten
In den vergangen 6 Monaten schauten sich nur 1.000 Personen die Ratssitzungen als Liveübertragung oder Aufzeichnung an. Die durchschnittliche Verweildauer betrug 30 Minuten, geht aus dem FDP-Antrag hervor. Die Freien Demokraten argumentiert mit zu hohen Kosten für eine zu geringe Zuschauerzahl und der angespannten Haushaltslage der Stadt Witten. Im Rat werde gearbeitet, fragte Fröhlich.
Seit wann? Der Rat ist das abschließende Gremium. Jede einzelne Ausschusssitzung müsste übertragen werden, weil da die eigentliche Arbeit von Ratsmitgliedern gemacht wird.
Steffen Fröhlich, FDP-Fraktion Witten
Wer glaubt Wahl-Ergebnisse mit Rats-TV beeinflussen zu können, der träumt ein bisschen, argumentierte der stellvertreter Vorsitzender der Wittener FDP-Fraktion.
Die Linke
Oliver Kalusch von der Linken warf der FDP vor, dass sie verschleiern möchte, wer sich am Diskurs im Rat beteiligt.
„Wir haben von der FDP herzlich wenig gesehen. Das war heute mal eine Ausnahme, dass sie am Mikro standen. Da habe ich schon den Eindruck, ihr Antrag geht in die Richtung, »wenn wir schon nichts tun, dann soll es auch keiner sehen«.“
Oliver Kalusch, Fraktion Die Linke Witten
Die FDP würde im Bund Mittel für die Kommunen blockieren, sie mache an ihre Klientel Geschenke, die Kommunen müssen dafür bluten, warf Kalusch den FDP-Ratsmitgliedern vor.
Ursula Weiß sagte gerichtet an Fröhlich, dass viele Prozesse in den Fachausschüssen angestoßen werden, aber die eigentliche Endabstimmung für fast alles im Rat stattfindet. Deshalb plädiert sie für die Beibehaltung von Rats-TV. In vielen Fachausschüssen vermisst sie Ratsmitglieder, „die dann einfach gar nicht da sind.“
Piratenpartei
Detlef Steinert befürwortete die Liveübertragung im Internet, weil er aus Krankheitsgründen diese schon selbst genutzt hat.
„Eine Abschaffung wäre ein echter Rückschritt“
Detlef Steinert, Piraten-Fraktion Witten
Aus transparenzgründen wäre es wichtig zu sehen, was die „gewählten Volksvertreter da treiben.“
bürgerforum+
„Das Rats-TV ist manchmal lustig, häufig spannend und in der Regel so aufregend wie ein isländischer Arthaus-Film im Original mit Untertiteln. Aber es ist wichtig für die Transparenz.“
Eckhard Hülshoff, Bürgerforum+
Der stellvertretender Fraktionsvorsitzender des Bürgerforum+ befürwortet den Erhalt von Rats-TV, um Sachen klarzustellen, die schief dargestellt werden.
Bündnis 90/Die Grünen
René Adiyaman von den Grünen hält die Debatte um Nutzerzahlen für falsch. „Wenn es so wenige Nutzerzahlen gibt, wenn es noch so wenige Leute schauen, wenn es doch so wenige Leute vermeintlich interessiert, dann müssen wir doch die Debatte führen, was wir tun können, damit die Leute sich dafür interessieren, was wir hier im Rat machen.“ Die Übertragung sollte interessanter gemacht und beworben werden.
Alternative für Deutschland
Die Diskussion um Rats-TV begann mit dem Vorhaben der CDU, Grünen und SPD die Entnahme kurzer Ausschnitte aus der ganzen Ratssitzung für eigene Videos zu beschränken. afd-Fraktionsvorsitzender Matthias Renkel veröffentlichte seine eignen Reden aus den Ratssitzungen auf Socialmedia-Kanälen. Die o.g. Parteien wollten dieses unterbinden und in der Geschäftsordnung eine Zustimmung des Bürgermeisters verankern. Renkel stellt Ihnen die Frage:
„Wovor haben Sie eigentlich Angst, dass sie das alles hier regeln und sogar abschaffen wollen. (…) Sie wollen einfach nicht, dass hier aus dem Rat unserer Stadt Witten Meinungen nach außen dringen.“
Matthias Renkel, afd Fraktion Witten
Renkel könnte seine Rede auch im Nachhinein aufnehmen und ins Netz stellen, der Rat kann es nicht verhindern, sagte er und zeigte sich überzeugt, dass seine Mannschaft in zwei Jahren mehr Sitze im Rat gewinnen wird, um noch mehr unbequeme Fragen dort zu stellen.
„Die FDP mache sich mit diesem Antrag lächerlich, wenn sie wirklich im Jahr 2023 fordern – in dem Zeitalter der Digitalisierung, wo alles Remote läuft, viele Leute nur noch im Home-Office arbeiten – dass man [* Rats-TV] tatsächlich abschaffen will.“
Matthias Renkel, afd Fraktion Witten
Stadtklima
„Rats-TV bietet die Möglichkeit der Partizipation. Partizipieren müssen Menschen, die politische Entscheidungen treffen sollen. Ich glaube wir haben schon die Verantwortung die technischen Möglichkeiten zu nutzen, (…,) den Menschen in unserer Stadt zumindest die Chance zu geben, zu sehen was hier passiert.“
Michael Hasenkamp:, Stadtklima Fraktion Witten
„Herr Pohl, wir schaffen ja auch nicht die Wahlen selbst ab, weil wenige Menschen zur Wahl gehen. Wir sagen wenn’s nur noch unter 40 % sind, dann verzichten wir ganz aufs Wählen, dann haben wir etwas gespart. Demokratie kostet Geld und es kostet auch die Anstrengung sich immer wieder mit seinen Ideen anzubieten und darum zu ringen Zustimmung zu erreichen. Genau das können wir mit Rats-TV erreichen.“
Michael Hasenkamp:, Stadtklima Fraktion Witten
Abstimmung
Mit den Stimmen der CDU-, FDP-, Bürgerforum- und WBG-Fraktion wurde eine geheime Wahl beantragt. 60 Ratsmitglieder und der Bürgermeister stimmten ab. Bei der geheimen Wahl stimmten 39 Ratsmitglieder für die Abschaffung von Rats-TV, 6 haben sich enthalten und 16 stimmten für die Beibehaltung der Liveübertragung.
* Anm. d. Redaktion