Witten-Stockum. Es ist wie ein Horrorszenario für viele Stockumer. Noch sitzen sie im Sommer auf der Terrasse und genießen den Duft von Rapsfeldern und frischer Luft. Schon bald könnten Emission aus Werkhallen und Schloten in ihre Wohnzimmer wehen. Der Regionalverband Ruhr (RVR) will die Ackerflächen zwischen Stockum und Witten zu Gewerbeflächen umwidmen. Auf Einladung des SPD OV Stockum stellte der RVR-Referatsleiter Michael Bongartz am Mittwochabend (6.6.) den neue Regionalplan in der Sportlerklause vor. Statt kühlender Ackerböden umfließt dann eine Betonwüste den Stadtteil.
Interview mit Walter Sander (SPD) aus dem Jahr 2015:
Schon vor drei Jahren war der Ennepe-Ruhr-Kreis auf der Suche nach interkommunalen Gewerbegebieten und wurde in Stockum fündig. Schon damals stand die Fläche zwischen Stockumer Straße, Pferdebachstraße und der Autobahn 44 (demnächst A448) zur Disposition. Auf dem politischen Wege konnte die Umsetzung aufgehalten werden. Zu groß wäre der politische Schaden für die Parteien gewesen.
Die Politiker sind auf Wählerstimmen angewiesen, da kommt ihnen der neue Plan des Regionalverbands Ruhr (RVR) wie gerufen. Nur wenige Politiker aus dem EN-Kreis vertreten die Interessen Wittener Bürger beim RVR. Die politische Legimitation des RVR ist äußerst zweifelhaft. Die Politiker werden in das Gremium nur entsandt. Einen Einfluss auf die Zusammensetzung des Gremiums haben die Bürger nicht. Dafür kann der RVR für Kommunalpolitiker Pläne beschließen, die sie auf der kommunalen Ebene gegen den Willen der Bürger nicht beschließen würden. Die Schuld für unbeliebte Entscheidung wird dann dem RVR angekreidet.
Bürgermeisterin Sonja Leidemann betonte während der Veranstaltung die Wichtigkeit von neue Gewerbeflächen für die Wachstumsmöglichkeit ansässiger Unternehmen.
Jahrelang hielt der Regionalverband Ruhr Frischluftschneisen um die Großstädte des Ruhrgebiets für nicht antastbar. Über die Frischluftkorridore zwischen den Städten wird frische Luft in die stickigen und aufgewärmten Innenstädte zugeführt. Stockum liegt zwischen zwei Luftschneisen, die vom Norden nach Süden und umgekehrt für Luftzirkulation sorgen. Über dem Vöckenberg kommen die beiden Luftschneisen zusammen und führen frische Luft in die Wittener Innenstadt. Der RVR hat im Rahmen seiner Flächenneubewertung entschieden, dass Felder um Stockum herum nicht mehr wichtig sind. Die Umwidmung der bisherigen Ackerflächen zu Gewerbeflächen wurde von dem RVR höher bewertet als ihr Nutzen für die Frischluftzufuhr für Witten und Dortmund.
Seit fast 40 Jahren kämpfen viele Stockumer um den Erhalt der landwirtschaftlich genutzten Flächen um Witten-Stockum herum. In den 1980er Jahren wurde in Stockum die Aktion Kiebitz ins Leben gerufen. Damals wollte die Stadt Witten das Tiefendorf bebauen. Der Gegner der Aktivisten war damals die Stadtverwaltung, heute ist der Gegner schwerer angreifbar, denn der Regionalverband Ruhr (RVR) ist für ein Gebiet von Xanten am Niederrhein bis Fröndenberg vor den Toren des Sauerlands zuständig. Da Gewerbegebiete vor der eigenen Terrasse bei viele Bürgern so beliebt sind wie Fußpilz, grassiert auch im Ruhrgebiet das Sankt-Florian-Prinzip „Verschon’ mein Haus – Zünd’ and’re an!“. Keiner will die Gewerbeflächen im eigenen Stadtteil haben. Eine neue Gewerbefläche vor der eignen Terrasse reduziert den Wert des eigenen Grundstücks. Für den Blick ins Grüne sind die Menschen beim Kauf eines Hauses bereit mehr zu bezahlen als für den Blick auf eine Werkhalle.
Zurzeit wird der neue Regionalplan in den Ausschüssen des RVR diskutiert, im Juli fällt dann in Essen der Beschluss. Noch bevor der RVR über den Regionalplan abstimmt, wollen viele Stockumer die künftige Industriefläche von der Karte gestrichen sehen und suchen jetzt Mitstreiter für ihren Protest.