Schlechte Versorgungslage: Letzte Hausarztpraxis schließt

Witten-Stockum. Der Stadtteil verliert seinen letzten Hausarzt: Die Praxis von Dr. med. Ingo Barth & Kollegen wird zum 31. August geschlossen. Dies hat in der lokalen Bevölkerung für spürbare Unruhe gesorgt. Seit Anfang Juni diskutieren viele Stockumerinnen und Stockumer in sozialen Netzwerken die anstehende Schließung – und die möglichen Konsequenzen für die wohnortnahe medizinische Versorgung.

Letzte Gewissheit per Telefax

Für viele kam die Ankündigung überraschend. Verbreitet wurde ein abfotografiertes Telefax, das auf Facebook kursierte. Es verkündet die Schließung der Praxis in Stockum. Eine Bestätigung durch Dr. Barth persönlich lässt auf sich warten – er befindet sich zum Zeitpunkt unserer Anfrage im Urlaub. In dem Schreiben an seine Patienten erklärt Barth, dass die Praxis “aus personellen Gründen” nicht weitergeführt werden könne. Er bedauert die Schließung und bedankt sich für die langjährige Treue. Seine Patienten verweist er auf die Praxis in Schwerte, wo auch die Patientenunterlagen abgeholt oder zur Weitergabe an andere Ärzte ausgehändigt werden können.

Patienten suchen Alternativen – mit langen Wartezeiten

Die Folge: Zahlreiche Patientinnen und Patienten sind nun auf der Suche nach einer neuen hausärztlichen Betreuung. Dabei zeigt sich, dass Erstaufnahmetermine bei anderen Hausärzten oft mit mehrmonatigen Wartezeiten verbunden sind. Die Lage in Stockum erinnert manche noch an die Situation nach dem Tod von Dr. Frank Kettschau. Auch damals war es eine Herausforderung einen neuen Hausarzt zu finden, das Praxis-Team gab sich sehr viel Mühe, um die Patientenunterlagen auszuhändigen.

Unklar bleibt, bis wann genau die Praxis in Stockum noch zugänglich sein wird. Der 29. August ist ein Freitag – das darauf folgende Wochenende ist die Praxis geschlossen. Patienten wird geraten, sich frühzeitig um ihre medizinischen Unterlagen zu kümmern.

Gesetzliche Vorgaben zur Bedarfsplanung

Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) betont auf Anfrage, dass ihr eine flächendeckende und ausreichende Versorgung mit Haus- und Fachärzten ein zentrales Anliegen sei. Grundlage für die Berechnung des Bedarfs ist die sogenannte Bedarfsplanung – ein bundesweit einheitliches Verfahren, das unter anderem demografische und medizinische Einflussfaktoren berücksichtigt.

Für den hausärztlichen Bereich gilt aktuell eine sogenannte Basis-Verhältniszahl von 1.616 Einwohnerinnen und Einwohnern pro Hausarzt oder Hausärztin. Diese Zahlen werden in regelmäßigen Abständen angepasst – zuletzt im Mai 2025.

Entscheidend für eine Einstufung als „unterversorgt“ oder „überversorgt“ ist der sogenannte Versorgungsgrad. Dieser liegt im Planungsbereich Witten derzeit bei 110,41 Prozent – was bedeutet, dass laut Statistik mehr Hausärzte vorhanden sind, als rechnerisch benötigt. Der Bereich ist daher für neue Praxen gesperrt. Die KVWL betont: Eine genauere Betrachtung auf Stadtteilebene wie Stockum sieht die gesetzliche Regelung nicht vor.

Stockum bleibt vorerst ohne eigene Praxis

Die Konsequenz: Auch wenn Stockum nun ohne eigenen Hausarzt dasteht, gilt Witten formal als überversorgt. Eine Umverteilung der Patienten innerhalb der Stadt wird damit zur kommunalen Herausforderung. In Nachbarstadtteilen wie Kley, Oespel, Rüdinghausen oder Annen finden sich noch Hausarztpraxen, auch in Bochum-Langendreer gibt es Angebote. Doch nicht alle sind für ältere oder mobilitätseingeschränkte Patienten leicht zu erreichen.

Hinzu kommt: Geeignete Praxisräume in Stockum selbst sind aktuell nicht verfügbar. Die Hürde für eine Neugründung bleibt also hoch – selbst wenn Ärztinnen oder Ärzte zur Niederlassung bereit wären.

Die KVWL weist abschließend darauf hin, dass etwa 25 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte im Planungsbereich Witten derzeit über 60 Jahre alt sind. Im Vergleich zum Landesdurchschnitt – rund 40 Prozent in Westfalen-Lippe – ist das zwar etwas weniger, doch es deutet bereits an, dass die Herausforderung der hausärztlichen Versorgung in Zukunft nicht kleiner werden dürfte.

Fazit

Mit der Schließung der Praxis Dr. Barth verliert Stockum seine letzte hausärztliche Anlaufstelle. Trotz formaler Überversorgung in Witten entsteht damit eine Versorgungslücke im Stadtteil. Eine strukturelle Lösung ist nicht in Sicht – und die Diskussion um die Gerechtigkeit der Bedarfsplanung dürfte weitergehen.