Witten. Mitte Juni 2023 verweigerte ein Busfahrer die Beförderung des schwerbehinderten Witteners Torsten U. von Stockum nach Witten. Der Fahrer soll den Fahrgast an der Haltestelle Gerdesstraße am Einstieg in den Linienbus gehindert haben. Der Fahrgast stellte eine Anzeige, der Fall wurde am Donnerstag (23.5.) am Amtsgericht Witten verhandelt. Ein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit des Fahrgastes konnte nicht glaubhaft belegt werden. Richter Dr. Jens Stahlschmidt bestätigte, dass der Fahrer vom Hausrecht gebrauch machen und die Beförderung verweigern darf.
Was wirklich zwischen dem Busfahrer eines Essener Subunternehmers der Verkehrsgesellschaft Ennepe-Ruhr und dem Wittener am 12. Juni 2023, gegen 14 Uhr vorgefallen ist, lässt sich nicht mehr lückenlos rekonstruieren. Einen Tag zuvor soll der 45-jährige Fahrgast den Fahrer beleidigt haben, während am besagten Tag der teilzeitbeschäftigte Busfahrer eine Drohung an den Fahrgast gerichtet haben soll. Beide erinnern sich jeweils nur an die Tat und Worte des jeweils anderen und wollen nicht zur Eskalation beigetragen haben. Sie müssen sich nicht selbst belasten. Es steht Aussagen gegen Aussage.
Zwei minderjährige Zeuginnen des Vorfalls befanden sich im hinteren Teil des Fahrzeugs. Sie saßen zu weit, um das Geschehen an der vorderen Tür genau verfolgen zu können. Der Richter hatte zu entscheiden, ob der Körpereinsatz des Fahrers über die Durchsetzung des Hausrechts hinausging. Der Fahrer hatte des Recht, das ihm anvertraute Fahrzeug zu schützen und den Fahrgast am Zutritt zu hindern. Der Fahrgast hielt sich an der Haltestange im Eingangsbereich fest. Die Lichtschranke im Türbereich erkannte eine Person und schloss die Tür nicht. Die Polizei kam nicht rechtzeitig an, die Fahrt wurde fortgesetzt, nach dem beide ein Gespräch mit der Firma Mesenhohl über ein Smartphone führten und der Fahrgast dann doch mitgenommen wurde. Der Staatsanwalt sah als nicht erwiesen an, dass der Fahrgast körperlich versehrt wurde, der Verteidiger sprach von Notwehr. Richter Dr. Jens Stahlschmidt führt aus, dass einfache Körpergewalt legitimiert ist, um das Hausrecht durchzusetzen und sprach den Angeklagten frei.
Während der Verhandlung sprachen beide Parteien von einem „Hausverbot“. Die Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (BOKraft) ermöglicht im § 13 dem Fahrpersonal Personen von der Beförderung auszuschließen, wenn „Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die zu befördernde Person eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Betriebes oder für die Fahrgäste darstellt.“ Die VER teilte stockum.de mit, dass gegen den Kläger kein Hausverbot erteilt wurde.
„Vielmehr hat ein Fahrer des beauftragten Busunternehmers Herrn U. ein Beförderungsverbot für eine Fahrt erteilt.“
Verkehrsgesellschaft Ennepe-Ruhr
Stellungnahme der VER
„Die VER ist ein Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Damit verbunden hat die VER eine besondere Fürsorgepflicht für Menschen mit Behinderungen und Kinder. Hausverbote verbunden mit einem allgemeinen Beförderungsauschluss werden aber generell nicht ausgestellt. Das heißt, aktuell sind auch keine Hausverbote bei der VER wirksam.“
Verkehrsgesellschaft Ennepe-Ruhr
„Fahrer*innen können allerdings ein befristetes Beförderungsverbot aussprechen, u.a. wenn das Verhalten des Fahrgastes zum Beispiel die Sicherheit des*r Fahrer*in oder der anderen Fahrgäste gefährdet. Das ist auch möglich, wenn dieses Verhalten bereits vor Einstieg in das Fahrzeug abzusehen ist. Ein solches Verbot kann für eine entsprechende Fahrt oder für einen definierten Zeitraum ausgesprochen werden. Die Bedingungen für ein Beförderungsverbot werden in den Beförderungsbedingungen des VRR sowie in der BOKraft geregelt. Die Fahrer*innen sind angewiesen, nach Aussprache eines solchen Verbots stehenzubleiben, bis der Fahrgast das Fahrzeug wieder verlässt. Bei Nichteinsicht wird die Polizei hinzugerufen. Auch die von der VER beauftragten Busunternehmer können Beförderungsverbote aussprechen. Insgesamt werden diese Verbote bei der VER nur gelegentlich ausgesprochen.“
Verkehrsgesellschaft Ennepe-Ruhr
Die VER trat nach dem Vorfall an ihren Subunternehmer und bat um eine Stellungnahme. „Beide Unternehmen sind dazu nun im Austausch,“ schriebt die VER.
Der Fahrgast soll vielfach Beschwerden an die VER wegen ausgefallener Fahrten und schlecht erbrachter Leistung eingereicht haben. Ein Zeuge will beobachtet haben, dass er im Sommer ein festverschlossenes Fenster mit einem im Handel freierhältlichen Vierkantschlüssel geöffnet haben soll. Die Fenster werden in Bussen fest verschlossen, damit die Klimaanlage weniger Energie verbraucht. Durch geöffnete Fenster und Türen entweicht die gekühlte Luft wieder nach draußen.
Der Fall wirft mehr Fragen auf, als Antworten im Gericht geliefert wurden. Zur Eskalation am Vortag soll eine Verfrühung des Busses um vier Minuten geführt haben, sagt Torsten U. vor Gericht aus. Er bemängelt auch Ausfälle einzelner Fahrten. Die VER bestätigte, dass auch in diesem Jahr wegen personellen Engpässen zu Ausfällen auf der Linie 371 kommt und nennt den Zeitraum vom 10. bis zum 26. April.
Die Ausfälle sind auch auf der VER-Homepage kommuniziert worden, schreibt das Unternehmen.
„Um die Einsatzwagen bedienen zu können, sind auf den Kurzläufern Fahrten ausgefallen. Alle Minderleistungen wurden an die VER vom Subunternehmer gemeldet.“
Verkehrsgesellschaft Ennepe-Ruhr
Überprüfung
Bei einer Überprüfung unserer Redaktion wird das Problem sichtbar. In der VRR-App wird die von uns gewählte Fahrt als pünktlich angezeigt. Die App zeigt für diese Fahrt Soll- und nicht Ist-Daten an. Nach der Abfahrtszeit verschwindet die Fahrt aus der Übersicht in der App, der Bus soll pünktlich gefahren sein. Wir stehen an der Bushaltestelle und warten weiter. Mit fünf Minuten Verspätung kommt der Bus doch noch an. Dieses Beispiel zeigt, dass die Erfassungsgeräte nicht immer eingeschaltet sind und Verfrühungen- und Verspätungen den Verkehrsbetrieben nicht immer gemeldet werden. Die Städte bezahlen die Leistung der Verkehrsbetriebe, egal ob die bestellten Fahrten erbracht werden oder nicht. Einen Live-Zugang zu den Daten haben weder die Städte noch der EN-Kreis – nur die Verkehrsbetriebe.
Leider entlädt sich der Frust der Fahrgäste nicht bei dem Verursacher des Ausfalls, sondern bei einem anderen Fahrer oder gar Unternehmer. Drei Wagen auf der Linie 371 werden von der Firma Mesenhohl aus Essen gefahren, zwei von der Firma Killer Citybus. Für Fahrgäste ist es nicht immer ersichtlich welcher Unternehmer den Ausfall zu verantworten hat. Der Wittener Unternehmer Peter Killer machte kürzlich auf ein neues Angebot aufmerksam, sein Unternehmen kann kurzfristig Fahrten für andere Verkehrsunternehmen und die Bahn übernehmen. Mit seinen neuen Gelenkbussen fährt Killer Citybus Schienenersatzverkehr für die Bahn. Die Fahrgäste der Linie 371 würden sich sicherlich freuen, wenn sie sich auf ihre Buslinie bei ihrer nächsten Fahrt zum Arzt oder Arbeit auf den Bus verlassen könnten. Ohne zuverlässigen ÖPNV bleibt der Slogan „Verkehrswende“ nur ein leeres und unhaltbares Versprechen.