Witten-Stockum. Die Stadt Witten lädt regelmäßig die Bürger zum Diskurs über ihre Stadtteile ein und die Stockumer, die ließen sich nicht zweimal bitten. Am Dienstag (10.3.) waren sogar Stehplätze im Flur und im Bereich der Eingangstür zum Saal des kath. Gemeindezentrums an der Hörder Straße 364 begehrt. In vier Dialogrunden zu den Themen „Handel und Gewerbe“, „Stadtplanung, Verkehr und Grün“, „Kinder, Jugend, Soziales und Wohnen“ und „Bürgerliches Engagement“ konnten Bürger Problembereiche und ihre Ideen nennen. Nach der Begrüßung durch die Bürgermeisterin Sonja Leidemann informierten die drei städtischen Dezernenten über die Rahmenbedienungen und vergangene Projekte im Stadtteil.
Wir werden weniger
„Witten schrumpft und Stockum auch“, erklärte Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke die augenblickliche demografische Entwicklung im Stadtteil. Zwischen 1980 und 1990 kletterte die Einwohnerzahl Stockums und Dürens, entgegen dem Trend in den anderen Stadtteilen, auf über 7.100. Damals entstanden neue Siedlungen im Helf-, Roggen- und Weizenkamp, dem Pflugweg und der westlichen Himmelohstraße und Stockum gewann an Einwohnern. In den folgenden 10 Jahren (1990 – 2000) gab es einen Bevölkerungsrückgang auf etwa 6.300 Einwohner, der durch neue Wohngebiete im Spiekermannweg, Rosenthalring, der Mittelstraße und im Kreuzungsbereich Pferdebachstraße und Hörder Straße in den vergangen 5 Jahren stabilisiert werden konnte. Doch in den folgenden 10 Jahren setzt sich der demografische Rückgang fort und Stockum verliert 500 Einwohner, erklärte Dr. Bradtke. Vom Bevölkerungsrückgang ist Stockum (ca – 8 %) stärker betroffen, als die Gesamtstadt mit -5 %. Der Anstieg der 80- bis 90-Jährigen ist mit 55,6 % stärker in Stockum ausgeprägt als in den übrigen Stadtteilen.
In Stockum ist einiges seit dem letzten Stadtteilforum im Jahr 2008 passiert, zählte der Stadtbaurat auf. Der Lebensmittel-Vollsortimenter ist an einen neuen Stadtort gezogen, die Jugendlichen erhielten einen Außentreff und der Spielplatz an der Mittelstraße wurde erneuert. Eine Biogasanlage entstand am Rand von Düren. Den barrierefreien Ausbau von Bushaltestellen sortierte der Stadtbaurat zu den erledigten Bauvorhaben ein; aus seiner Sicht dürfte es so sein, denn das Vorhaben hat den Rat passiert und wird demnächst umgesetzt. Auf der To-do-Liste stehen noch der Lebensmitteldiscounter-Umbau, die Erweiterung des Gewerbegebietes Bebbelsdorf und ein neues Gewerbegebiet am Vöckenberg zwischen Stockumer Straße und Pferdebachstraße. Ca. 35 ha Industrieflächen bräuchte Witten, doch bis im Vöckenberg Bagger anrollen, vergehen möglicherweise noch zehn Jahre, erklärte Leidemann an einem der Thementische. Eine Entscheidung des Rates zum Gewerbegebiet am Vöckenberg steht erst in frühstens 1,5 bis 2 Jahren an. Eine neue Wohnbebauung wird es zwischen dem Spiekermannweg und der Dorneystraße geben. Am Helfkamp fehlt der Investor für eine barrierefreie Wohnanlage. Eine Wohnbebauung am Friedhof stellte sich als nicht realisierbar dar, die Fläche wird von der Stadt neu ausgeschrieben.
Beim Rheinischen Esel gab es Applaus von den versammelten Stockumern. Der Rad- und Wanderweg wird gut angenommen und gern genutzt, auch an einer besseren Zufahrt arbeitet die Stadt Witten, nur an den Mitteln fehlt es noch. Die Mittel fehlen auch bei der Straßeninstandhaltung. „Es ist ein echtes Trauerspiel, wer nach Witten über die Pferdebachstraße hineinfährt, denkt an die schlimmsten Zeiten in der DDR“, sagte Dr. Bradtke. Während für den Umbau der Pferdebachstraße am fernen Horizont schon die Baugeräte anrollen und in drei Jahren zum Einsatz kommen könnten, wird der Zustand vom Bebbelsdorf möglicherweise noch bis zu 8 Jahre so bleiben. Eine genaue Terminnennung grenzt eher an Kaffeesatzleserei.
Kürzer fiel der Vortrag vom Beigeordneten Frank Schweppe aus. Zum Thema Kinder, Jugend und Soziales gab es weniger zu sagen. Der Anbau der Stockumer Turnhalle durch den TuS Stockum wurde allgemein befürwortet und mehrfach durch Vereinsmitglieder an den Thementischen genannt. Auch ein Wohnangebot für ältere Bürger befürwortet die Stadt, damit diese auch im Alter im Stadtteil bleiben könnten. Ein Investor muss noch gefunden werden, was sich als schwierig erweist.
Vier Thementische und drei Runden
Verkehr
Turbulent ging es beim ersten Thementisch „Verkehr“ zu. Der Stadtplaner Andres Müller stellte den Umbau der Straße Bebbelsdorf vor. Auch bei dem Projekt wird es ohne Fördermittel vom Bund und Land nicht gehen, doch vorher sei die Pferdebachstraße dran, erläuterte Leidemann. Das Projekt könnte mittelfristig umgesetzt werden, also in 3 – 8 Jahren, ergänzte die Bürgermeisterin.
Bebbelsdorf sollte für Motorradfahrer aufgrund des Zustands gesperrt werden, forderte ein Besucher. Und dann begann eine Diskussion über eine geplante Verkehrsinsel im Einmündungsbereich Walfischstraße. Eine Mittelinsel benötigt am Kreuzungsbereich kein Mensch, wurde argumentiert. Auch die hohen Baukosten für eine Überquerungshilfe und eine niedrige Fußgängerfrequenz an dieser Stelle wurden genannt. Die Sorge einiger Bürger galt nicht den Menschen aus der angrenzenden Siedlung, sondern dem Schwerlastverkehr, der um die Verkehrsinsel nicht herumkommen könnte. 10 Meter breit wäre die Straße an der Stelle erläuterter Müller, für die Fahrbahn werden nur 6,5 Meter benötigt.
Die älteste Straße Stockums wurde thematisiert. Der Verkehr staut sich in den Morgenstunden in der Gerdesstraße. Vor den Kreuzungsbereich gehört ein Verkehrsschild „Bei Rot hier halten“, forderten die Bewohner des Pflugwegs. Die Fußgänger sollten automatisch auf Grün geschaltet werden und nicht nur nach der Betätigung der Taste, lautete eine weitere Forderung. Die Eltern der Waldorfschule zeigten sich besorgt um den Schulweg ihrer Kinder. An der Stockumer Straße gibt es keine Gehwege, die Kinder müssen am Fahrbahnrand laufen.
Die Parkplatzsituation in Stockum beschäftigt auch die Feuerwehr. In der Sträterkampstraße kommen die Einsatzfahrzeuge sehr schlecht durch, auch im Heuweg gibt es damit Probleme. Als gutes Beispiel wurde die Hausackerstraße genannt, wo mit einem Rad auf dem Bordstein geparkt wird: Dort kommen Eltern mit einem Kinderwagen nicht mehr an einigen parkenden Autos vorbei.
Die Haltestelle Rügenstraße wird zugeparkt, der Bus kann nicht an die Haltestelle heranfahren und verursacht Stau mitten auf der Straße, wurde bemängelt.
Der Lkw-Verkehr und die Missachtung des Tempolimits im Stockumer Bruch ist ein Ärgernis für die Anwohner der Anlieger-frei-Straße.
Die Radfahrer ärgert die ungeklärte Radwegsituation auf der Hörder Straße. Die Ausschilderung soll angepasst werden.
Die Anlieger des Rückhaltebeckens an der Mühlenstraße bitten die Stadt um eine Bürgersprechstunde.
Bürgerliches Engagement
„Die Stadt kann nicht alles leisten, wir können nicht alles abdecken“, leitet in das Thema Stadtteilbücherei Ralph Hiltrop, Leiter der Stabsstelle für Stadtentwicklung, ein. Gemeinsam mit der Bibliotheksleiterin Christine Wolf wollten sie die Zukunft der Bücherleihe erläutern, doch die Stockumer plagen ganz andere Sorgen. Die häufig beschworene gute Vernetzung im Ort funktioniert gar nicht. Es gibt keine Informationen, wer was macht. Pfarrer Holger Papies zeigte sich enttäuscht, dass der Terminaustausch seit Jahren nicht funktioniert, die Gemeinde lädt zum Austausch ein und keiner kommt. Das ist eine Aufgabe, die der Stockumer Dorfverein übernehmen könnte, doch dieser sucht gerade einen neuen Vorsitzenden. Neue Angebote scheitern daran, dass der Austausch zwischen den Akteuren nicht funktioniert und sie unbekannt sind.
Handel und Gewerbe
Gespalten waren die Stockumer beim Thema Gewerbegebiet im Vöckenberg. Während die einen zuerst die Bebauung von Brachflächen forderten, waren anderen Teilnehmern die Arbeitsplätze wichtiger.
Ein interkommunales Gewerbegebiet auf den Opel-Flächen wird es nicht geben. Es fließen riesige Investitionen nach Bochum. Die Stadt Bochum braucht die Flächen selbst, erläuterte die Bürgermeisterin. Somit müssen die Stadt Witten und der Ennepe-Ruhr-Kreis selber auf dem eigenen Gebiet neue Gewerbeflächen erschließen. Ganz einfach zu erschließen ist das Dreieck Pferdebachstraße, Stockumer Straße und A44 in Stockum. Die Fläche gehört der Stadt Witten und die Pacht an den Landwirt läuft bald aus, wird aber verlängert, sicherte Leidemann zu. Ein neuer Regionalplan wird noch etwa 1,5 Jahre vom RVR entwickelt, sagte Ing. Franz Buresch, Amtsleiter Planungsamt. Dann müsste der Flächennutzungsplan geändert werden. Für das Gewerbegebiet im Vöckenberg müssten Ausgleichsflächen im Ennepe-Ruhr-Kreis gesucht werden. Vielmals scheitert der Verkauf von Grundstücken an den überzogenen Preisvorstellungen der Besitzer, sagte Buresch. Bei anderen Brachflächen liegen oftmals Altlasten vor, die aufwendig saniert werden müssten.
Immer wieder betonen die Stockumer dich Wichtigkeit des grünen Freiraums, der Insellage ihres Stadtteils und des daraus resultierenden hohen Wohnwerts. Durch eine neue Gewerbeansiedlung befürchten sie schlechtere Luft. Das Fehlen eines Drogeriemarktes und die Fluktuation bei kleinen Ladenlokalen wurden ebenfalls genannt.
Das Wort zum Schluss
Und da wäre noch der Anbau der Mehrzweckhalle an der Pferdebachstraße. Der gut organisierter TuS Stockum schickte zu jedem Thementisch seine Vertreter, die die Wichtigkeit des Vereins und der Hallenerweiterung betonten. Leider fehlte es an Interessenvertretern des Lebensmittel-Vollsortimenters, der sich nicht in die öffentliche Diskussion einbrachte. Das ist bedauerlich, denn er ist ein wichtiger Mitspieler in dieser Diskussion.
Dürfen sich die Stockumer also auf ein neues Gebäude freuen, das neues Leben in den Stadtteil bringen wird. Oder wird sich das neue Gebäude in die Reihe der Leerständen zwischen dem alten und neuen Edeka-Standort einreihen, zum Jugendzentrum etwa, das keines mehr ist. Oder zur ehemaligen neu-apostolische Kirche, die immerhin in diesem Monat zum Blumenladen umgewandelt wird. Was die Mehrzweckhalle betrifft, besteht noch einiges an Erklärungsbedarf …