Hausarzt Stockum: Warum der Stadtteil ohne Hausarzt bleibt

Witten-Stockum. Seit dem 1. September steht der Stadtteil Stockum ohne eigene Hausarztpraxis da. Mit der Schließung der Praxis Dr. med. Ingo Barth & Kollegen hat der letzte Hausarzt in Stockum seine Türen geschlossen – und ein schneller Ersatz ist nicht in Sicht. Viele Patientinnen und Patienten mussten sich inzwischen in benachbarten Stadtteilen oder Städten neue Ärzte suchen. Doch die Hoffnung auf einen neuen Hausarzt in Stockum könnte sich noch lange hinziehen.

Warum gibt es keinen neuen Hausarzt in Stockum?

Auf den ersten Blick wirkt es paradox: Während Patienten in Stockum dringend eine hausärztliche Versorgung benötigen, fehlen rechtlich die Voraussetzungen für eine Neuzulassung. Der Grund: Witten gilt offiziell als „überversorgt“.

Mit aktuell 62 hausärztlichen Kassensitzen erreicht die Stadt einen Versorgungsgrad von über 110 Prozent. Das bedeutet: Laut Berechnungen der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) gibt es hier rechnerisch mehr Hausärzte als notwendig. Neue Niederlassungen sind deshalb gesperrt – außer ein Arzt gibt seinen Sitz auf oder reduziert seine Tätigkeit.

Für Stockum heißt das konkret: Solange keine Praxis offiziell aus dem System genommen wird, gibt es auch keine Ausschreibung für einen neuen Kassensitz. Selbst der Wegfall der Praxis Barth ändert daran zunächst nichts.

Langwierige Verfahren verzögern Neubesetzungen

Die KVWL weist darauf hin, dass Hausärzte nach einer Praxisschließung bis zu 18 Monate Zeit haben, eine Übergabe an einen Nachfolger zu organisieren. Erst danach wird die Zulassung freigegeben und ein Bewerbungsverfahren gestartet, erklärt KVWL-Pressesprecher Daniel Müller.

Ein Nachbesetzungsverfahren dauert erfahrungsgemäß neun bis zwölf Monate. Das bedeutet: Selbst wenn es einen Interessenten für die Übernahme gäbe, könnte es bis zu zwei Jahre dauern, bis ein neuer Hausarzt in Stockum tatsächlich eröffnet.

Nachfrage nach Praxen – aber nicht in Witten

In den Nachbarstädten gibt es für Ärztinnen und Ärzte Niederlassungsmöglichkeiten, zeigt die KVWL-Karte im Internet: In Dortmund sind derzeit 16 Niederlassungen möglich, in Bochum fünf und sogar in Wetter an der Ruhr fehlen 3,5 Hausärzte. In Witten jedoch ist der Markt dicht – und für Stockum bedeutet das weiterhin Warten.

Wer sich angebotene Praxen in der Region anschaut, stößt häufig auf den Hinweis „Preis verhandelbar“. Teilweise werden sechsstellige Beträge aufgerufen, etwa 120.000 Euro irgendwo im Ennepe-Ruhr-Kreis. Wo genau, steht in der Chiffre-Anzeige nicht. Für Stockum gibt es allerdings aktuell keinerlei Angebote.

Übergangsregelung Ruhrgebiet: Einheitliche Maßstäbe bis 2028

Ein weiterer Faktor erschwert die Lage: Die hausärztliche Bedarfsplanung im Ruhrgebiet befindet sich in einer Übergangsphase. Bis 2018 galt hier eine Sonderregelung, da Ballungsräume als überdurchschnittlich gut versorgt eingestuft wurden. Seitdem wird die Versorgung Schritt für Schritt an bundesweite Maßstäbe angepasst.

Die Verhältniszahl – also wie viele Einwohner rechnerisch auf einen Hausarzt kommen – sinkt alle zwei Jahre. Bis 2028 wird das bundesweite Niveau erreicht. Aktuell liegt die Grenze bei 1.741 Einwohnern pro Hausarzt, ab 2026 sogar nur noch bei 1.693. Wird der Wert im kommenden Jahr neuberechnet, könnte der Versorgungsgrad sinken und somit eine Neuansiedlung irgendwo im gesamten Stadtgebiet möglich machen.

Stockum im Wartestand

Rund 30 Hausarztpraxen gibt es in ganz Witten, viele davon in Gemeinschaftspraxen oder mit angestellten Ärztinnen und Ärzten. Doch für die knapp 6.200 Einwohner von Stockum heißt das derzeit: längere Wege zum nächsten Hausarzt, überfüllte Wartezimmer in Nachbarpraxen und die Sorge, dass die wohnortnahe Versorgung dauerhaft verloren geht.

Patientinnen und Patienten fordern deshalb klare Lösungen – etwa eine gezielte Ausnahme für unterversorgte Stadtteile innerhalb eigentlich „überversorgter“ Städte. Bisher bleibt das aber politisch wie rechtlich schwierig.

Fazit

Die Schließung der letzten Praxis hat eine Versorgungslücke hinterlassen, die so schnell nicht geschlossen werden kann. Wer einen Hausarzt in Stockum sucht, muss sich daher weiterhin außerhalb des Stadtteils orientieren – und auf ein Umdenken in der Bedarfsplanung hoffen. Denn ohne strukturelle Anpassungen könnte Stockum noch lange ohne eigene Hausarztpraxis bleiben.

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